Weinflaschen haben heute fast immer 0,75l Inhalt. Warum gerade diese 0,75l und nicht 1l? Wäre einfacher.
Seit 1977 hat die EU die 0,75l mit einer EU-Norm geregelt. Ab 1989 musste das in der EU eingehalten werden. Aber warum hat sich die EU gerade auf diese Füllmenge festgelegt? Vorher variierten die Volumina in Europa um die 0,7l mit Abweichungen von 0,65l bis 0,85l, unter Wirten als «Eintel» geführt. Wie kam die EU auf die 0,75l?
Dazu werden die verschiedensten Gründe und Argumentationen angeführt, die bis in die Entstehungsgeschichte der Glasflaschen als Behältnisse für Wein zurückführen, auf ihre handwerkliche Herstellung und schließlich ihre maschinelle Fabrikation:
- die Pustekraft der Glasbläser
- die angemessene Menge Wein für eine Mahlzeit (laut Mönch Dom Pérignon)
- die perfekte Größe für die Lagerung
- die ideale Größe und Form für den Transport
- die präzise Füllmenge
- 1 kg gepresste Trauben ergibt 0,75l Saft
Alles falsch…
Wein wurde bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhundert hauptsächlich in Fässern transportiert. Eine teure Flaschenfüllung war früher nur besonderen Weinen vorbehalten. Die ab dem 16. bis ins 19. Jahrhundert mundgeblasenen, bauchigen Flaschen (Pferdefuss genannt, wegen der tiefen Einbuchtung am Flaschenboden) waren alles andere als präzise, was die Füllmenge anging. Tür und Tor stand offen, um mit Füllmenge, Qualität und Herkunft des Weins Schindluder zu treiben.
Nach mehreren Versuchen, Flaschen «industriell» herzustellen, schafften es schließlich die Amerikaner in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für ihr Bier kleine Flaschen in großen Mengen zu produzieren. In Europa ist man auf den Zug aufgesprungen. Leider konnten diese ersten Maschinen aufgrund von Problemen bei der Auskühlung des Glases, damals keine größeren Flaschen herstellen. Das Fassungsvermögen war maximal um die 0,75 Liter. Da man aber größere Flaschen wollte, wurde die industriell hergestellte Flasche nicht flächendeckend eingeführt. Die verschiedenen Hersteller boten Flaschen mit verschiedensten Füllmengen an. Ein Etikett wurde draufgeklebt, dessen Angaben in den meisten Fällen nicht dem Inhalt der Flaschen entsprach.
Um diesem bis weit ins 20. Jahrhundert andauernden Missstand Einhalt zu gebieten, wurden in den jeweiligen Ländern Prädikate und Ursprungsbezeichnungen (AOC, DOC, GG etc.) eingeführt, um die weintypischen Charakteristika wie Traubensorte oder Herkunftsgegend zu garantieren. Da jedoch in punkto Füllmenge bei sich zunehmend ausbreitendem Flaschengebrauch immer noch ein Chaos in der EU herrschte, entschloss man sich, eine EU-Norm einzuführen.
Als Basis dafür ist man weit in der Geschichte zurückgegangen. Über Jahrhunderte haben die Engländer Wein aus Frankreich (Bordeaux) per Schiff importiert. Ihre Maßeinheit war die «Imperial Gallon», etwa 4,55 Liter. Man baute also Fässer mit einem Fassungsvermögen von 50 Gallonen = 225 Liter = 1 Barrique = 300 Flaschen à 0,75 Liter. Für eine Imperial Gallon braucht man 6 Flaschen à 0,75 Liter. Daher auch die Usance, Flaschen in Sechser- oder Zwölferkisten zu verpacken. Eine oder zwei Gallonen. Bei den Diskussionen in der EU um die Füllmenge, haben sich die Briten mit ihrem Vorschlag durchgesetzt.
Heute hat man sich der EU-Norm weltweit meist angepasst. In der Schweiz und in den USA gibt es aber immer noch Flaschen mit 0,7 Litern.
Nebenbei gesagt, haben sich die Barriques auch deshalb durchgesetzt, weil sie flacher gebaut waren als die üblichen Weinfässer. Man konnte daher mehr von ihnen im Schiffsbauch unterbringen. Trotzdem gelten für viele Weinbauern die Barriques auch heute noch als vollkommen ungeeignet, um Wein in ihnen gären oder reifen zu lassen, da die flachere Krümmung der Wände das nötige Zirkulieren des Weines im Fass zu sehr verhindert.